Dienstag, 21. Januar 2014

Die unsichtbaren Leiden des Neuzeitdiabetikers - heute: Wer die Wahl hat, hat die Qual.

Wie bereits kurz angerissen, ist die Annahme ja weit verbreitet, dass Diabetes heutzutage "echt nicht so schlimm", "keine große Sache mehr" und "total gut zu handeln" sei (zum betreffenden Beitrag geht es hier). Und in gewisser Weise, stimme ich diesen Aussagen, wie ebenfalls schon erwähnt, zu. Ich bin froh, in einer Zeit zu leben, in der ich mich wegen meiner Krankheit nicht mehr kasteien und nach strengen Regeln essen muss. Ich bin froh, dass ich flexibel bin und spontan sein kann. Und vor allem bin ich froh, über die vielen individuellen Behandlungsmöglichkeiten. Wirklich! Aber genau hier eröffnen sich auch wieder massig Probleme: Wer die Wahl hat, hat die Qual!

Früher - und damit meine ich wirklich wirklich früher - war die Diabetestherapie relativ simpel. Simpel, aber nicht angenehm. Strikte Essenszeiten und die Beschränkung auf wenige, blutzuckerunwirksame Nahrungsmittel bestimmten das Leben der Betroffenen (ja, auch ich mag dieses Wort nicht wirklich und verweise an dieser Stelle auf einen gelungenen Artikel von mein-diabetes-blog.com). Das ist heute besser. Auch nach der Einführung der Insulintherapie erwies sich die Behandlung als vergleichsweise einfach (im Vergleich zu dem Tamtam, das heute so veranstaltet wird). Insulin rein, gut is.

Heute gestaltet sich die Therapie des kleinen Zuckerscheißers wesentlich angenehmer, aber dafür weniger simpel. Frei nach dem Motto: "Mehr Rechte, mehr Pflichten". Die Diabetesgesellschaft von heute ist eine weitestgehend Aufgeklärte. Jeder weiß über die Vorgänge (oder eben Nichtvorgänge) im eigenen Organismus zumindest rudimentär Bescheid und versteht seine Krankheit in ihren Grundzügen. Ein großer Vorteil mit einem langen Rattenschwanz. Denn Aufgeklärtheit fordert Denken. Das wusste schon Kant.

Und so reicht es heute schon lange nicht mehr, die reine Menge an zugeführter, blutzuckerwirksamer Nahrung in BE (oder doch lieber KE??...seht ihr, da geht's schon los...ich oute mich, ich rechne mal mit 10g und mal mit 12g...wie es am besten passt! Klappt trotzdem!) umzurechnen, um daraus die benötigte Insulinmenge zu bestimmen. Nein! Auch die Zusammensetzung der Kohlenhydrate spielt heute eine Rolle
(Genaueres zum Thema KH-Zusammensetzung findet ihr im Glossar). Je nach Zusammensetzung wird die Insulinmenge dann gesplittet abgegeben oder komplett über mehrere Stunden verzögert (das alles geht mit der Pumpe relativ problemlos), da Nahrung, die aus langkettigen KH besteht ja länger braucht, bis sie im Blut ist, als kurzkettige KH. Es werden aber längst nicht mehr nur Kohlenhydrate berechnet...

Schonmal was von FPE gehört? Nein? Macht nix...bei mir klappt es auch so ganz gut! Die FPE (Fett-Protein-Einheiten) bieten eine Möglichkeit, neben den KH auch die aufgenommenen Fette und Eiweiße mit Insulin abzudecken, denn man hat herausgefunden, dass auch diese den Blutzucker beeinflussen können. Diese Berechnung ist allerdings ziemlich kompliziert und (anders als die Berechnung von BE/KE, an die man sich relativ schnell gewöhnt)  alles andere als alltagstauglich. Die einzige Gelegenheit, bei der ich Fette und Eiweiße berechne, sind Grillorgien im Sommer. Aber auch hier werden einfach Pi-mal-Daumen ein paar Einheiten mehr abgegeben, ohne das jetzt groß zu berechnen. Wäre ja noch doller, da vergeht einem ja der Spaß am Essen! Außerdem gilt es bei großen Eiweiß- oder Fettmengen, wie auch bei den langen Kohlenhydraten, auf eine verzögerte Abgabe des Insulins zu achten. Und weil das so viel Spaß macht, gibt es dafür mal wieder keine Regel, sondern man muss es...genau...ausprobieren.

Nicht nur gibt es heute scheinbar tausend Wege die Nahrung in berechenbare Einheiten niederzubrechen, oder Insulin abzugeben, es gibt auch mindestens genauso viele Insuline, Messgeräte und Teststreifensorten. Man entscheidet sich dafür einen bestimmten Kathether zu benutzen oder eben nicht zu benutzen. Man wählt zwischen Pumpe oder Pen (oder "wird gewählt"...oder möchte gerne wählen, darf aber nicht). Und jede dieser (noch so kleinen) Entscheidungen kann letztendlich den Ausschlag geben zwischen Erfolg und Misserfolg. Zwischen Gesundheit und Krankheit.

Ohje...und jetzt wo ich das hier so schreibe, frage ich mich, wie ich als relativ verplanter Mensch das immer wieder hinkriege. Obwohl ich mit diesem ganzen Schlamassel großgeworden bin, scheint es mir manchmal undurchdringlich. Es gibt so viele Stellschrauben, an denen man drehen kann, um den Blutzucker zu beeinflussen und es gibt so viele Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, wenn es darum geht herauszufinden, warum etwas nicht so läuft, wie es soll.

Als wäre das Leben nicht schon kompliziert genug...

A

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